Cheats
"Die Cheats verdienen sich einen Ehrenplatz in dieser
Publikation, waren sie doch die ersten Bundessieger bei einem
Beatwettbewerb. Das war 1965, in Kassel. Volker Rebell: "Wir waren
selbst überrascht, daß wir da gewonnen haben. Uns wurde auch erst vor
Ort die Größe des Unternehmens klar, nämlich daß in allen größeren
Städten Vorausscheidungen stattgefunden hatten. Und so gut fanden wir
uns eigentlich gar nicht. Aber wir waren die einzigen, die deutsche
Texte gesungen haben, und vorher, als wir unsere Titelfolge einreichten,
haben wir auch unsere Texte abgegeben. In der Jury saß ein
Deutschlehrer, und es muß den wohl beeindruckt haben, daß wir
sozialkritische Texte in deutsch machten. Ich machte ja schon Kabarett
zu der Zeit, und insgesamt fühlten wir uns richtig rebellisch damals, so
war auch der Text, die Musik war eher wie Kinks You Really Got Me. Ich
weiß die Anfangszeilen noch immer auswendig: <Sie schreien 'die Jugend
ist schlecht!' Sie müssen schreien, denn sie sind gerecht. 'Die
Jugend, sie taugt nichts', sagen sie vorturteilslos. Sie müssen es
wissen: (gesprochen): denn die Jugend ist nur ein Spiegelbild ihrer
Umwelt.> - Es gab auch einen Mittelteil, in dem ich einen längeren Text
rhythmisch gesprochen habe, das könnte - 1965 - einer der ersten
deutschsprachigen Rapversuche gewesen sein. Als wir dann Sieger
geworden waren, sollten wir in der Fernsehsendung 'Der Goldene Schuß' mit
Lou van Burg auftreten. Zu dem Auftritt ist es nie gekommen, angeblich
weil wir nur zu dritt waren, und zum Image einer Beatband gehörte es
angeblich, daß man vier Pilzköpfe aufwies. Die Festivals-Vierten, die
Red Rocks, sollten dann an unserer Stelle dort auftreten, aber da hat
unser Manager Protest eingelegt. Ich weiß aber nicht, inwieweit da
überhaupt etwas dran war, ob das nicht alles eine Ente war." Aus dem mit
dem Festivalsieg angeblich gekoppelten Plattenvertrag ist ja auch nichts
geworden. Volker Rebell: "Wir haben 'Gedanken eines Jugendlichen'
aufgenommen." Mit Hans Podehl als unabhängigem Produzenten. Nils Selzer:
"Wir waren einige Tage im Studio in Frankfurt. Das zog sich dann so hin.
Wir kriegten dann gesagt, "Das ist noch nicht gut so; das müssen wir
noch ändern!" Undsoweiter...als wir dann irgendwann fragten, wann wir
den nun wiederkommen sollten, da gab es Aufschübe und Ausflüchte."
Volker Rebell: "Angeblich hat er das bei einer Plattenfirma vorgespielt,
und die befand, wir sängen gegen Ende des Songs schief." Dabei lief
es gerade so gut für die Band. Nach der Gründung der Band 1962 in
Offenbach, als sich Volker Rebell, voc, lg, Karl Peter Köhler, dr, und
Rudi Marschall, b, zusammengetan hatten, um Twistmusik zu spielen,
stellte man sich 1963 schnell auf den neuen Merseybeat um - gerade
rechtzeitig, denn die ersten richtigen Gigs kamen. Als Rudi die Band
1964 verließ, wurde er durch den Sänger, Gitarristen und Bassisten Nils
Selzer (prä-Orgon, prä-Solo, prä-Strassenjungs) ersetzt. Und die Band
hatte Auftritte en masse, an die 400 in den folgenden 3 Jahren - 3 davon
1965 in Nottingham. Volker Rebell: "Den Kontakt nach Nottingham hatte
ein Schulfreund hergestellt, der zu dem Zeitpunkt in den Schulferien in
Nottingham war - er hat uns auch keine wirklichen Gigs, sondern ein paar
Auftritte bei Schulfesten und Parties vermittelt. Eine deutsche Beatband
- das war für Engländer etwas höchst Exotisches. Übrigens auch für
Engländerinnen. Meine lebendigste Erinnerung an Nottingham ist eine
kleine Engländerin, die beim Knutschen immer sagte: 'I don't like French
kisses!'" Aber auch die hessischen Ami-Clubs wurden von den Cheats
heimgesucht. Volker Rebell: "Wenn Du dann in den Ami-Clubs auftreten
durftest, das waren ja schon die höheren Weihen. Obwohl wir uns da, mit
unseren von der Platte abgehörten Texten, manchmal ganz schön blöd
vorkamen. Wir kriegten ja auch so manche Textstelle nicht richtig raus,
und das haben wir dann einfach so phonetisch nachgesungen. Den GIs ist
das bestimmt aufgefallen." Nils Selzer: "Wir spielten auch mal bei einer
Modenschau. Außer uns trat da noch ein Typ auf, der zum Playback
deutsche Schlager in total gebrochenem Deutsch sang. Er fragte, ob wir
ein paar Blues-Nummern mit ihm machen könnten. Das taten wir denn. Es war
- Howard Carpendale!" Sie spielten auch auf einem Festival mit
Christopher und Michael, den "deutschen Simon & Garfunkel" - 1969
sollte Michael de la Fontaine Volker und Nils zur Produktion seines
Soloalbums "Harlekins Singsang" holen. 1966 nahm die Band am
Beatwettbewerb der Stadt Frankfurt teil, und als Resultat fand nun eine
Plattenveröffentlichung statt, die CBS veröffentlicht einen Sampler,
live eingespielt im Volksbildungsheim der Stadt Frankfurt. Die Cheats
steuerten eine recht rustikale und schnelle Version des Byrds-Mr
Tambourine Man-Nachfolge-Hits I'll feel A Whole Lot Better bei. Volker
Rebell: "Der Beatwettbewerb in Frankfurt war für uns ein großer Frust.
Wir gingen doch als Sieger der deutschen Beat-Parade von Kassel ins
Rennen, hatten den Frankfurter Vorausscheidungswettbewerb klar gewonnen
und waren uns ziemlich sicher, auch bei der Endausscheidung zu siegen.
Doch es sollte anders kommen. Wie schon in Kassel wollten wir wieder mit
einem selbstgeschriebenen, deutschsprachigen Song gewinnen. In letzter
Minute habe ich einen neuen Song fertiggestellt, den wir unmittelbar vor
unserem Wettbewerbsauftritt auf der Toilette noch schnell einstudiert
haben. Diese sträfliche Selbstüberschätzung führte dann zum Debakel: Wir
haben uns ständig verspielt, ich habe mich beim Singen verhaspelt oder
den Text zeilenweise ganz vergessen. Was für 'ne Blamage vor so vielen
Leuten - und, vor allem, bei so einem wichtigen Anlaß. Der Song war
eigentlich gar nicht schlecht, aber wir haben ihn nie wieder gespielt.
Weil aber unser zweiter Wettbewerbsbeitrag ganz gut gelungen war - wir
spielten den Beatles-Song We Can Work It Out mit Akkordeon (!) - fielen
wir zum Glück nicht ganz durch. Ich glaube, wir belegten den 3. oder 4.
Platz - es müßte der 3. gewesen sein, denn sonst hätten wir bei der
Preisverleihung nicht unsere Zugabe I'll Feel A Whole Lot Better spielen
dürfen." Insgesamt wurde die Musik der Cheats von nun an komplexer,
es tauchten mehr eigene Stücke auf: Nils Selzer: "Komplexität war das
Ding von Volker Rebell, der hat Musik geschrieben, die viele Akkorde
hatte und sich nicht nur auf Dur und Moll beschränkte." Als Frank Löw
Anfang 1967 als neuer Drummer kam, mußte zwangsläufig ein neues
Repertoire erarbeitet werden, und neben eigenen Stücken versuchte man
sich an Improvisationen zu Texten von Heinrich Heine. Erst im Jahre 1968
kommt es noch einmal zu einer Plattenveröffentlichung der Cheats.
Die Firma Olivetti hatte sich eine neue tragbare Kompaktschreibmaschine
ausgedacht, und weil man die an junge Leute verkaufen wollte, gab man
die Werbekampagne an eine Agentur, die mit Heinz Edelmann, dem Zeichner
des Beatlesfilms "Yellow Submarine", zusammenarbeitete. Volker Rebell
hatte in der Werbeagentur einen Freund, und der kam auf die Idee, das
Schreibinstrument auch mit einem Song zu bewerben. Also komponierte
Volker Rebell komplexe Musik, ganz Popsyke-mäßig, und Ralf Geisler
dachte sich eine freakige Lobeshymne auf das Gerät und noch ein wenig
mehr aus: Verpackt wurde das Ding in ein von Heinz Edelmann gezeichnetes
Cover und dann an potentielle Kunden verschenkt - wenn man seinen Coupon
eingeschickt hatte. Die Cheats holten sich 1969, als Frank Löw
verstirbt, ihren alten Drummer zurück und machten noch ein Jährchen
weiter. Aber dann mußten auch sie der Diskothek ihren Tribut zollen und
lösten sich auf. Volker Rebell ist seitdem Mitarbeiter beim Hessischen
Rundfunk.
Diskographie I Feel A Whole Lot Better auf VA-LP
"Beat-Wettbewerb der Stadt Frankfurt" CBS 52330, 1966 Valentine/That's
My Day Olivetti Werbeschallfolie 0,5 mm ohne Bestellnummer."
(zitiert aus: Hans Jürgen Klitsch - Shakin' all over - Die Beatmusik in der Bundesrepublik Deutschland 1963 - 1967, Fantasy Productions; Auflage: 2, ISBN-10: 3890645100)
Artikel Frankfurter Rundschau, 13. Januar 2017
Von Agnes Schönberger
Der frühere HR-Moderator Volker Rebell hat eine Studiobühne eingerichtet. Dass aus der eigenen Musikerkarriere nichts wurde, hatte auch mit Udo Lindenberg zu tun.
Volker Rebell hatte als Jugendlicher hochfahrende Pläne. Er wollte der deutschsprachige John Lennon werden. Daraus wurde nichts, und Udo Lindenberg spielte dabei eine Rolle. Entscheidend war aber, dass der junge Mann in der elterlichen Werkzeugfabrik für Präzisionsgewinde gebraucht wurde.
Karriere hat der gebürtige Offenbacher dennoch gemacht. Zwar nicht als Rockstar, aber als Hörfunkmoderator von Kultsendungen wie „Volkers Kramladen“ im HR. Jetzt plant der fast 70-Jährige sein eigenes Webradio. Voraussetzung dafür ist seine „Rebell(i)sche Studiobühne“, die er nach dem Verkauf der ererbten Fabrik im ehemaligen Werkstattgebäude an der Bieberer Straße eingerichtet hat. Erste Konzerte und Veranstaltungen haben dort bereits stattgefunden; die Live-Atmosphäre mit Musikern, Autoren und Kleinkünstlern will Rebell als Basis für seine künftigen Radiosendungen nutzen. Damit schließt sich für ihn ein Kreis: In dem Gebäude, in dem er einst eher widerwillig Verantwortung übernahm, kann der Ingenieur jetzt seine künstlerischen Vorlieben ausleben.
Hat er als „kleiner 68er-Rebell mit viel roter Brause im Kopf“ (O-Ton Rebell) nie daran gedacht, gegen seine Eltern zu protestieren und die ungeliebte Lehre zum Werkzeugmacher abzubrechen? Nein, sagt Rebell. Er sei katholisch erzogen worden und Ministrant in St. Marien gewesen. „Ich war ein braver Bub.“ So nahm er es hin, dass die Eltern ihn als 16-Jährigen ohne sein Wissen vom Gymnasium abmeldeten, weil er die Ausbildung beginnen sollte. Wohl aus schlechtem Gewissen schenkten sie ihm aber eine wertvolle E-Gitarre samt Verstärker von Fender.
Die Popmusik wurde zu Rebells Rettungsanker. Der Jugendliche war talentiert. 1965 gewann er mit seiner Band „The Cheats“ den „Deutschen Beatband-Wettbewerb“ mit seinen selbstgeschriebenen deutschsprachigen Songs. Den Siegerpokal durfte er behalten, er steht im Billy-Regal im Keller.
Weniger Erfolg hatte Rebell mit seinem ersten Album. Lag es am nicht eben verkaufsfördernden Titel „Der große Krakeeler“ oder an der Musik? Die Platte war jedenfalls ein Flop. Und bevor seine Musikerkarriere Fahrt aufnehmen konnte, war sie 1969 schon zu wieder Ende. Damals trat er in den elterlichen Betrieb ein. 2015 verkaufte er die Firma, die unter dem Namen Rebell Tools in Mühlheim als reines Handelsunternehmen weitergeführt wird.
Von 1970 an arbeitete Volker Rebell als freier Mitarbeiter für den Hessischen Rundfunk und präsentierte in seinen Sendungen Popmusik abseits des Mainstreams. Nebenbei schrieb er für die FR Konzertberichte, produzierte eigene Tonträger, veröffentlichte Bücher über Frank Zappa und die Beatles. 2008 flog das Urgestein des HR unter dem Diktat der „Durchhörbarkeit“ aus dem Programm. Er hat aber weitergemacht im preisgekrönten Internetradio ByteFm, Bücher geschrieben und eigene Programme entwickelt. Rebell tourte durch Hessen mit „Volkers Kramladen“, mit „Heine goes Pop“ und mit der Beatles-Revival-Band. Aktuell sind er und Moritz Stoeppel mit „Dylan auf Deutsch“ unterwegs. Nächster Auftritt ist am 21. Januar in Oberursel (Näheres auf www.volker-rebell.de). Vier Jahre arbeitete er an einem Hörbuch mit fünf CDs und Begleitband über Paul McCartney, das demnächst erscheinen wird. Ein weiteres Werk über John Lennon soll bald folgen.
Jetzt also noch das Webradio. Rebell schwebt ein poetisch verspieltes Erzählradio mit Lyrik und Humor vor, wie er es früher teilweise in „Volkers Kramladen“, realisieren konnte. Er erinnert sich gerne an die Zeit beim HR. Damals habe es keine Vorgaben gegeben – außer dem Rundfunkgesetz. Niemand habe ihm in seine Sendung hineingeredet, Planung, Redaktion und Musikgestaltung verantwortete er allein.
Rebell nutzte diese Freiheit. Seine Musikauswahl reichte von den Beatles bis Zappa, und auch Walgesänge mutete er seinem Publikum zu. Um Liedtexte dem Hörer näherzubringen, übersetzte er sie, redete aber auch über Arrangements und Instrumentierung. Ihm ging es darum, die Faszination der Texte zu vermitteln. Es war eine kreative Auseinandersetzung mit der Musik, die den Hörern das Gefühl vermittelte, ein Freund unterhalte sich mit ihnen über Musik. Buchpreisträger Frank Witzel beschrieb Rebell in einem frühen Text als eine „unnachahmliche Mischung aus Pastor und engagiertem Musiklehrer“. Es war positiv gemeint.
Im Erdgeschoss der ehemaligen Fabrik herrscht momentan zwar noch Maschinen-Chaos. Aber Rebell kann sich trotzdem schon vorstellen, wie es hier einmal nach der für Februar geplanten Sanierung aussehen wird. Er will dort eine Galerie einrichten. Wer eine Veranstaltung der „Rebell(i)schen Studiobühne“ besuchen will, muss sich vorher über Rebells Internetseite anmelden. „Ich will wissen, wer meine Gäste sind“, sagt er. Erst nach der Anmeldung wird die Adresse per Mail mitgeteilt.
Und was war eigentlich mit Udo Lindenberg? 1969 lernte Rebell den Musiker in Hamburg durch die Vermittlung eines Bandkollegen kennen, der bei den „Cheats“ mitgespielt hatte. „Ich saß bei Udo auf der Bettkante und durfte ihm meine deutschsprachigen Songs vorstellen.“ Die Musik habe er interessant gefunden, aber dann wollte Rebell wissen, was Lindenberg von der „Krakeeler“-Platte halte. Udos Urteil war apodiktisch: Deutsch und Rockmusik passten nicht zusammen. Er sollte sich irren. 1970 veröffentlichte Lindenberg ein englischsprachiges Album, das floppte. 1973 feierte er mit „Andrea Doria“ Riesenerfolge. Das war sein Durchbruch. Der Rest ist bekannt. Deutsch und Rock passen doch zusammen. Sogar genuschelt.
Artikel Offenbach Post, 16. April 2024:
Offenbach – Die "größte Rock'n'Roll-Band der Welt" begann ihre bewegte Geschichte am 12. Juli 1962 mit dem ersten Auftritt im Londoner Marquee. Ihrem Image gemäß galten sie als die unangepassten "Bad Boys" – in bewusstem Kontrast zu den braven Beatles. Doch ausgerechnet eine rotzige Rock-Komposition von Lennon/McCartney setzte die Steine in Bewegung und zwar erstmals in Richtung Hitparade.
Auch wenn es oft anders dargestellt wurde: Schon vor 60 Jahren gab es freundschaftliche Kontakte zwischen den Beatles und den Stones. Sie waren niemals Todfeinde, wie das in der Presse hochgekocht wurde. Aber natürlich gab es eine gesunde Konkurrenz.
Vor 60 Jahren waren die Beatles den Stones haushoch überlegen. Lennon/McCartney waren bereits gefeierte Songschreiber, während die Stones noch kein einziges Stück selbst geschrieben hatten. Was sich aber bald ändern sollte. Auslöser war der Lennon/McCartney-Hit "I Wanna Be Your Man".
Die Stones hatten im Juni 1963 mit ihrer ersten Single "Come On", einer Chuck-Berry-Nummer, einen Achtungserfolg, standen unter Druck, rasch Neues nachliefern zu müssen, aber sie hatten nichts. Der damalige Stones-Manager Andrew Oldham, der zuvor kurz für die Beatles gearbeitet hatte und deshalb wusste, dass Lennon/McCartney auch Songs für andere Künstler schrieben, fragte, ob sie einen geeigneten Song für die nächste Stones-Single liefern könnten.
Sie konnten. Paul hatte die Skizze eines Rock'n'Roll-Titels im Kopf, der eine Portion Bluesfeeling hatte und an die Kracher der 50er Jahre erinnerte. Die Ober-Beatles boten diese Idee den Stones an, besuchten sie im Studio und spielten ihnen den fertigen Refrain vor. Die Stones waren beeindruckt und sagten, ja, den Song wollten sie haben.
Daraufhin zogen sich John und Paul in einen Nebenraum zurück. Zehn Minuten später präsentierten sie den verblüfften Stones den fertigen Song. Dies war die Geburtsstunde des Songschreiber-Duos Mick Jagger und Keith Richards. Denn die beiden dachten sich, wenn John und Paul mit dieser Leichtigkeit und Geschwindigkeit einen Song einfach so raushauen können, müssten sie das auch hinkriegen.
So kam es. Ihr erster selbstverfasster Song "Tell Me (You’re Coming Back)", die flehentliche Bitte eines Schwerenöters, der den Laufpass bekommen hat, an seine Abtrünnige, sie möge doch sagen, dass sie zu ihm zurückkommt, erschien am 16. April 1964 auf ihrem Debüt, dessen Cover kühnerweise weder Bandnamen noch Albumtitel zeigte, sondern nur ein Bandfoto. Die Inhalte waren nicht minder ausgefallen: blues-getränkte Titel, selbstbewusst, mit eigener Note gespielt.
Neben der Eigenkomposition und zwei mit Co-Komponisten geschriebenen Titeln enthielt das Album neun Cover rockiger Rhythm’n’ Blues-Klasssiker, die Biker-Hymne "(Get Your Kicks On) Route 66" von Bobby Troup, Chuck Berrys schwarz gefärbter Proto-Rock’n’Roll "Carol", das Riff-Monster "Walking The Dog" von Rufus Thomas und die unmissverständlich anzügliche Blues-Nummer von Willie Dixon "I Just Want to Make Love to You", mit der die Stones klarmachten, dass sie von ihrem Mädel etwas ganz anderes wollten als die biederen Beatles mit ihrem kreuzbraven "I Wanna Hold Your Hand". Allerdings waren es die Beatles, die ihnen mit der absolut nicht biederen Leihgabe "I Wanna Be Your Man", also der zweiten Stones-Single, zum Durchbruch in England verhalfen.
"The Rolling Stones" erreichte in England Platz 1 der Hitparade, in den USA Platz 11 und in Deutschland überraschenderweise Platz 2. Was mehr als außergewöhnlich für die hiesige Musikszene war, in der Schlagerstars wie Freddy, Bernd Spier und Siw Malmkvist ("Liebeskummer lohnt sich nicht") den Ton angaben.
Deutsche Schlager haben wir Offenbacher Beat-Bubis damals verachtet. Aber die Debüt-LP der Stones hätten wir auch keinesfalls gekauft. Wir, die Offenbacher Schülerband The Cheats, gehörten eindeutig zur Beatles-Fraktion. 1964 war zwar noch ein Stones-Sympathisant Mitglied der Urbesetzung. Doch gegen die Übermacht der Beatles-Fans in unserer Band hatte er keine Chance.
Zu unseren härtesten Konkurrenten in der Offenbacher Beat-Szene gehörten – neben anderen – die Red Rocks, die stilistisch den Stones nahestanden, eine ähnlich große Gefolgschaft hatten wie wir, spieltechnisch uns überlegen waren, aber nicht so gut singen konnten. Die Fan-Verteilung war in Offenbach klar abgegrenzt: Die Red Rocks waren die Band der harten Jungs, wir hatten mehr Chancen bei den Mädels.
Bei der bundesweiten Endausscheidung der Deutschen Beatparade 1965 in Kassel landeten die Red Rocks auf Platz 3. Wir, die Cheats, siegten überraschend mit zwei selbstverfassten deutschsprachigen Songs. Unser erster Siegertitel "Gedanken eines Jugendlichen" war interessanterweise stilistisch angelehnt an die Kinks, klang also mehr nach den Rolling Stones als nach den Beatles.