Rhombus
Bassist Lothar Maurer erinnert sich:
Rhombus bestand anfangs aus Uli Rennert-Schlemm (p), Rudi Hagenau (dr), Uli Kratz (g), Axel Grote (sax), und Dieter Kerz (b, ging später zu Aguirre).
Das müsste in etwa im Jahr 1977 gewesen sein. Für mich als ehemaliger Rock-Bassist, der 1978 Dieters Platz einnahm, war es das erste Mal, dass ich mir eine Notensammlung (Real-Book) für ein kleines Vermögen kaufen musste, die damals nur "unter der Ladentheke" gehandelt wurde. Siebzig oder achtzig Mark musste man damals für "die Bibel der Jazzmusiker" locker machen.
Natürlich hatte ich Probleme bei Lesen. Meine Notenkenntnisse stammten noch vom Klavierunterricht aus frühester Kindheit. Aber wir quälten uns irgendwie durch. Ich glaube, ich habe sogar heimlich geübt. Und wir waren hungrig.
Irgendwann sahen wir die Noten nicht mehr als verbindlich an, sondern begriffen sie lediglich als "Empfehlung". Jazz wurde zur Spielwiese, die sich im Bereich Traditional bis Free, Krautrock bis Funk erstreckte. Die Entdeckung der "Tritonusparallelen" und "Quartenverschiebungen" machte diese Band "akademischer" als alles, was bisher die Festivals der Region rockte.
Ein typisches Beispiel für das musikalische Schaffen des Jahres 1979 war das Stück "35711,11" (Fünfunddreissigtausendsiebenhundertelf-Komma-Elf), das einen ¾, 5/4,7/4,und 11/4 Takt gleichzeitig (zur gleichen Zeit) verarbeitete (Primzahlen). Jeder spielte seine Linie und wir konzentrierten uns und zählten wie verrückt. Jeder für sich. Wie durch Zauberhand trafen wir uns irgendwann auf irgendeiner "Eins" und explodierten in einer modalen Improvisation, bis wir erneut das Thema aufgriffen und uns erneut wie zufällig auf einer "Eins" zu einem furiosen Schlussakkord trafen. Es war eine musikalische Offenbarung – ich glaube, damals dachten wir, die Welt gehört uns.
Die Band im R4 (siehe Bildergalerie oben) wurde im Jahr 1979 aufgenommen. Aus dem gleichen Jahr stammen auch die Schwarzweiß-Fotos aus der Stadthalle Hofheim – einem Konzert, bei dessen Ende es mindestens acht Sekunden dauerte, bis schließlich ein gigantischer Applaus aufbrauste ... so sehr waren die Zuhörer gefangen und emotional aufgewühlt. Ich habe so etwas in dieser Intensität danach nie wieder erlebt.
Das Farbfoto stammt aus dem Jahr 1984 und wurde im Jazzkeller Hanau aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt bestand Rhombus aus Uli Rennert-Schlemm (p), Rudi Hagenau (dr), Uli Kratz (g), Willy Spahn (sax), Pawel Ziembinski (tr), Lothar Maurer (b). Die Musik wurde bodenständig. Chick Corea, Crusaders – das waren die Vorbilder, nach denen Eigenkompositionen sich mit eigenwilligen Interpretationen mischten.
Irgendwann verlor die Band ihre Bedeutung, weil sich Uli Rennert-Schlemm, der musikalische Kopf dieses einzigartigen Projektes, auf der Musikhochschule in Graz einschrieb, auf der er mittlerweile als Professor tätig ist. Uli Kratz leitet seit längerem die Musikschule Rodgau, Willy Spahn ist Musiklehrer und leitet mehrere Schüler-Bigbands und Rudi Hagenau unterrichtet seit Jahren neben seinen musikalischen Projekten Generationen von Schlagzeugern. Rhombus war eine explosive Mischung, die in dieser speziellen Konzentration nur ganz selten in freier Natur vorkommt.