Europasound Studios Bieber
Rathausgasse - Offenbach/Bieber
Der Eintrag im Offenbacher Telefonbuch aus dem Jahr 1978 zeigt eine andere Adresse:
Artikel Frankfurt Life, 19. Juli 2016:
Für Frank Farian war es in den siebziger Jahren unvorstellbar, woanders als in Offenbach Erfolgsbands wie Boney M. oder Eruption zu produzieren. "Das Europa-Sound-Studio in Offenbach-Bieber
war das einzige Studio, das ich damals kannte und in dem ich mich verwirklichen konnte", erzählt er hessenschau.de im Interview zu seinem 75. Geburtstag. "Das große Studio, das es zu der Zeit
noch in Frankfurt gab, war eher auf Bigbands ausgelegt. Und die Leute dort konnten auch mit der modernen Musik nichts anfangen. Das Studio in Offenbach, das war angesagt, da musste man
einfach hin!"
Topstars in Rosbach vor der Höhe
Anfang der achtziger Jahre zog er in sein eigenes Studio in Rosbach vor der Höhe um. Auch große internationale Stars wie Meat Loaf oder Stevie Wonder nahmen dort ihre Alben auf. Stevie Wonder
habe nur gefragt: "Wer hat die beste Technik? Und man sagte ihm: Die hat Frank Farian in Europa! Und dann sagte er: Dann gehe ich halt nach Rosbach!" Die Musiker habe immer nur "das Ergebnis
interessiert, nicht die Frage nach Provinz oder Großstadt". Die Einwohner des Taunusstädtchens seien locker mit so viel Prominenz umgegangen: "Die Rosbacher sind da ganz cool."
Vermisst nichts an Deutschland
Farian lebt und arbeitet in Miami. "Leider vermisse ich gar nichts, schon gar nicht das schlechte deutsche Wetter!" Nach familiären Todesfällen habe ihn nichts mehr in der Heimat gehalten, auch
lebten seine beiden Kinder in den USA. "Außerdem: Meine vier Studios sind hier in Miami. Und ich bin immer da, wo ich Musik machen kann, wo meine Studios sind."
Artikel Offenbach Post, 18. Mai 2020:
Artikel Offenbach Post, 25. Januar 2024:
Offenbach – Dass in der Rathausgasse das Herz der globalen Discoszene schlägt, wissen in den 70er-Jahren vor allem die Bieberer: "Ich habe immer am Hintereingang zum Tonstudio auf der Lauer gelegen", erinnert sich Andreas Barnickel, dessen Elternhaus ganz in der Nähe liegt. Und so ergattert der Offenbacher Teenager regelmäßig Autogramme von Musikgruppen wie Boney M, die ein- und ausgehen im Europasound Studio von Besitzer Fred Schreier. "Einmal haben sie mich sogar für zwei Stunden mit in den Mischraum genommen", sagt Barnickel mit einem Schmunzeln.
Der Mischraum – damals ein Ort, der Pop- und Schlagersänger magnetisch anzieht. Am Pult sitzt auch ein Mann, der im Europasound Karrieren startet, aus dem Ärmel schüttelt, wie sonst nur Zauberer ihre Kartentricks: Frank Farian. In Offenbach lanciert Farian – jetzt mit 82 Jahren verstorben – zunächst sein eigenes Intermezzo als Sänger. Mit der Schmonzette "Rocky" landet er 1976 einen Nummer-1-Hit.
Schnell aber geht er über zu den Dingen, bei denen der gelernte Koch aus dem Saarland sein besonderes Fingerspitzengefühl zeigen kann: der Musikproduktion. Das Europasound, diktierte er einmal dem Hessischen Rundfunk ins Mikrofon, "war das einzige Studio, das ich damals kannte, und in dem ich mich verwirklichen konnte. Die Leute in anderen Studios konnten mit der modernen Musik nichts anfangen." Und so entwickelt er gemeinsam mit Inhaber Schreier und Tontechniker Hartmut Pfannmüller ein Soundprojekt, das das angestaubte Musikdeutschland nachhaltig durchrüttelt – Boney M nämlich.
In den Blättern des Bieberer Heimatvereins schildert Wolfgang Stoppel das Zustandekommen des ersten Erfolgs der Pop-Gruppe, dem Titel "Baby do you wanna bump". Dafür singt Farian die Bassstimme eben mal selbst ein, und auch die femininen Falsettstimmen. Doch es fehlen die Gesichter.
Weil das Lied gehört, für Fernsehauftritte angefragt wird, begibt er sich schnell auf die Suche. Und findet ein karibisches Quartett: die beiden Sängerinnen Liz Mitchell und Marcia Barnett, Tänzerin Maizie Williams und Bobby Farrell, der bei Auftritten meist nur die Lippen bewegt, statt zu singen, auch im Studio durch Farian ersetzt wird. Während die Gruppe in Offenbach einen Welthit nach dem anderen aufnimmt, von "Rasputin" über „Daddy Cool“ bis "Rivers of Babylon", residieren sie im Hotel Nello in der Wingertstraße, ganz in der Nähe des Studios.
Die Filmemacher Christian Lang und Eddy Jacobs aus Obertshausen haben eine Dokumentation über Boney M im Rhein-Main-Gebiet gedreht. Eine Anekdote: Die Pizzeria Nello im Erdgeschoss des Hotels, mittlerweile heißt sie Fantasia3, serviert ihren Gästen damals eine nach der Gruppe benannte Ofenkreation. Mit Zwiebeln und Thunfisch belegt, so wie es der Truppe von Boney M besonders geschmeckt haben soll, garniert mit vier schwarzen Oliven – nun ja.
Herbert Mahlow absolviert in den 70er-Jahren eine Ausbildung bei der Bankfiliale gegenüber des Hotels, auch er begegnet den Musikern. Dann, wenn sie Finanzielles regeln müssen. "Die älteren Kollegen hatten 'Manschetten' davor, die nur Englisch sprechenden Damen und den smarten Bobby zu bedienen", berichtet er den Blättern des Bieberer Heimatvereins. Boney M bringt einen Farbtupfer nach Bieber: Selbst im Hochsommer hätten die Musikerinnen ab und an Pelzmantel getragen. Und zum Abschied bekommt Mahlow sogar eine Schallplatte mit Autogrammen der Gruppe.
Denn klar, irgendwann heißt es weiterziehen: Erst ins teure Hotel Waitz nach Mühlheim, dann ganz weg aus dem Kreis Offenbach. In Rosbach in der Wetterau richtet sich Farian sein eigenes Studio ein, macht Schlagzeilen mit dem Milli-Vanilli-Skandal, gerade verkörpert ihn Matthias Schweighöfer im Kino. Zuletzt lebt er in Miami – und gilt mit gut 800 Millionen verkauften Tonträgern als erfolgreichster deutscher Produzent aller Zeiten.
Und das Europasound? Ist auch ohne Farian Hit-Zentrale (Supermax lassen sich Blicken, Wolfgang Ambros nimmt in Offenbach "Schifoan" und "Es lebe der Zentralfriedhof" auf), bevor es in den 90er-Jahren geschlossen wird, später unter dem Namen "Tonstudio Bieber" neu eröffnet.