Beatkinks

Ralph Christian Möbius alias Rio Reiser (voc, g),

Ralph Peter Steitz alias R.P.S. Lanrue (dr, g),

Bernd Mäffert (b)

1965 in Rodgau gegründete Beat-Cover-Band.

Nach Umbesetzung ändert die Formation ihren Namen in "de Galaxis".

 

Artikel Offenbach Post, 18. Juli 2024:

 

Krawall und Tumult gehörten immer dazu

 

Zum Tod von R.P.S. Lanrue, der mit Rio Reiser die linke Politband Ton, Steine, Scherben gründete

 

 

Anarch-Musiker R.P.S. Lanrue - Foto: dpa
Anarch-Musiker R.P.S. Lanrue - Foto: dpa

 

Berlin - Mit "Macht kaputt, was euch kaputt macht" oder "Keine Macht für niemand“"lieferte die Band Ton Steine Scherben den Soundtrack für den revolutionären Teil der 70er Jahre. Nun ist der als R.P.S. Lanrue bekannte Mitbegründer der Politrockband, Ralph Peter Steitz, gestorben. Der Musiker starb nach schwerer Krankheit am Sonntag in Berlin - im Alter von 74 Jahren.

 

Tumult gehörte zur Band und zum Leben der Musiker. Gerade erst in Berlin gegründet, stand die Rockband um Leadsänger Rio Reiser 1970 auf der Insel Fehmarn das erste Mal gemeinsam auf der Bühne. Das Love-and-Peace-Festival dort sollte eine Art deutsches Woodstock werden. Zur Empörung der Musiker war die Tageskasse verschwunden. Die Politrocker spielten "Macht kaputt, was euch kaputt macht", Reiser heizte die Fans noch auf. Die erste Scheiben-Single entfaltete ihre Urgewalt: Im allgemeinen Tumult ging die Bühne in Flammen auf. "Das war fulminant", erinnerte sich R.P.S. Lanrue später. Er hatte Ton Steine Scherben zusammen mit dem 1996 gestorbenen Reiser gegründet.

 

Ralph Peter Steitz (Lanrue) und Ralph Christian Möbius (Reiser) verband eine Menge. Im hessischen Nieder-Roden liefen sie sich 1966 über den Weg. Lanrue brauchte einen Gitarristen und ließ Reiser einen Rolling-Stones-Song vorspielen. Den sang er auch gleich noch. Als Beat Kings und De Galaxis spielten sie Covers und erste eigene Songs, ließen sich dafür etwa auch von den Stones beeinflussen.

 

Reiser ging nach West-Berlin, Lanrue folgte kurz darauf. Für das Theaterstück "Rita und Paul" schrieben sie 1969 "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Der Song hatte direkten Bezug zum Stück. „Da wurde jeden Abend ein Fernseher mit einem Rechtsextremen zertrümmert“, erinnerte sich Lanrue. "Dazu haben wir dann 'Macht kaputt' gespielt."

 

Kurz darauf gründeten Reiser und Lanrue mit dem Bassisten Kai Sichtermann und dem Schlagzeuger Wolfgang Seidel Ton Steine Scherben. Im Laufe der Jahre sollte es zahlreiche Zuwächse, Auszeiten und Wechsel in der Besetzung geben. Als Managerin war zeitweise die heutige grüne Kulturstaatsministerin Roth dabei. Die Scherben lieferten auf drei Alben den Sound der Revolte: „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“ symbolisierte den Generationenkonflikt, der "Rauch-Haus-Song" war Begleitung für Hausbesetzungen, "Keine Macht für niemand" stand für den Drang zu Freiheit und Anarchie. Vieles von der Playlist zum Kampf gegen das Establishment spielte sich in Kreuzberg ab. Im geteilten Berlin war der Bezirk wie getrennt vom Leben des restlichen Westteils der Stadt - Schlachtfeld von Ton Steine Scherben. „All das wurde Reiser und Lanrue Mitte der 70er Jahre zu viel, mit einer kleinen Scherben-Gemeinde zogen sie nach Fresenhagen in Nordfriesland. Dort entsteht das vierte Album "IV".

 

Im Gründungsjahr der Politband formierte sich auch die Rote Armee Fraktion. Besuch von RAF-Leuten in der Berliner Scherben-Kommune war keine Seltenheit. "Die gingen ja bei uns ein und aus", erinnerte sich Lanrue. Trotzdem steckte aus Sicht des Musikers "nicht viel" RAF in Ton Steine Scherben.

 

"Obwohl wir viele Protagonisten kennengelernt haben, haben wir immer unser eigenes Programm gemacht", sagte Lanrue einmal. Und bewaffneter Kampf und tödlicher Terror gehörten nicht dazu.

 

 

Artikel Offenbach Post, 20. Juli 2024:

 

Politrocker mit Rodgauer Wurzeln

MUSIKSZENE 1700 - „Ton Steine Scherben“-Gitarrist R.P.S. Lanrue gestorben

 

Bei den "Beat Kings" in Nieder-Roden war R.P.S. Lanrue noch Schlagzeuger, bei "Ton Steine Scherben" in Berlin Leadgitarrist. Das Foto entstand 2014, als die "Scherben" 29 Jahre nach ihrer Auflösung noch einmal auf Tournee gingen. Foto: Stefan Brending
Bei den "Beat Kings" in Nieder-Roden war R.P.S. Lanrue noch Schlagzeuger, bei "Ton Steine Scherben" in Berlin Leadgitarrist. Das Foto entstand 2014, als die "Scherben" 29 Jahre nach ihrer Auflösung noch einmal auf Tournee gingen. Foto: Stefan Brending

 

Rodgau/Rödermark – Viele derer, die sich damit auskennen, sagen, "Die Scherben" – also "Ton Steine Scherben" – waren "die wichtigste deutsche Band". Und sagen kann man auch: Sie ging einst von Nieder-Roden aus. In den 1960er-Jahren kam Ralph Peter Steitz mit seiner Familie von Grenoble nach Nieder-Roden. Der 1950 geborene Steitz jobbte dort in einem Supermarkt und machte dann eine Dekorateur-Lehre. In seiner Freizeit spielte er Fußball und Schlagzeug. Er gründete eine Band, die hauptsächlich die Popularmusik dieser Zeit, Beat, coverte – und nannte sie praktischerweise "The Beat Kings". In der Anfangszeit spielten sie am liebsten den Millionenseller "Hang On Sloopy".

 

Steitz brauchte noch einen Gitarristen. Er ließ sich vom gleichaltrigen Ralph Christian Möbius, den er 1966 in Nieder-Roden kennengelernt hatte, den "Rolling Stones"-Song "Play With Fire" vorspielen. Möbius, der sich selbst Gitarre-, Cello- und Klavierspielen beigebracht hatte, war mit seiner Familie von Nürnberg nach Nieder-Roden gezogen und sang für Steitz die „Stones“-Nummer auch gleich. Damit hatte er den Job. Nach dem Aus der "Beat Kings" riefen die beiden Freunde die Rockband "De Galaxis" ins Leben. Auch mit ihr coverten sie – spielten aber auch ab und zu erste eigene Stücke, die sie gemeinsam geschrieben hatten. Dafür ließen sie sich etwa auch von den "Stones" inspirieren.

 

1970, als Steitz, der inzwischen Leadgitarrist geworden war, und Möbius mit ihrem Nieder-Röder Anhang nach West-Berlin gezogen waren und "Ton Steine Scherben" gegründet hatten, wurden die beiden für die "Scherben", was Mick Jagger und Keith Richards für die "Stones" sind. Die Frontleute und Songschreiber. Und wie sie (im Vergleich zu den perfekten "Beatles") klangen die "Scherben" irgendwie unfertig, garagig und ruppig. Dennoch wurden sie zu einer der wichtigsten deutschen Bands, Steitz als R.P.S. Lanrue bekannt und Möbius als Rio Reiser berühmt. Steitz: "Wenn Rio mit einem Text kam, haben wir nie lange herumprobiert. Irgendwann waren die Songs einfach da."

 

Lanrue wurde jetzt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth als einer der wichtigsten deutschen Komponisten und Gitarristen gewürdigt. Sie hatte die Band eine Zeit lang gemanagt, als die "Scherben"-Familie 1975 von Berlin ins nordfriesische Fresenhagen übergesiedelt war. Das vermittelt laut Frankfurter Rundschau "einen sauber geordneten Entstehungsprozess der Songs der wohl einflussreichsten deutschsprachigen Popband, zu denen der charismatische Rio Reiser die meisten Texte beisteuerte. Tatsächlich aber war die Musik der spätestens seit 1970 als popaktivistisches Aufputschmittel gehandelten 'Scherben' das Ergebnis einer freundschaftlichen Symbiose, die Mitte der 1960er-Jahre im hessischen Nieder-Roden herangereift war."

 

Am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, starb R.P.S. Lanrue nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 74 Jahren. Bereits 1996 war Rio Reiser gestorben. "Adieu, Lanrue, grüß’ Britta und Rio." Mit diesen Worten endet der Nachruf auf Lanrue von "Rodgau Monotones"-Gitarrist Ali Neander. Er nennt die "Scherben" die "deutschen Stones" – und Lanrue "'ne Zeit lang sogar so was wie mein Schwager". Gitarristen-Kollege Lanrue war eine Weile mit Neanders Schwester Britta zusammen, die 2004 starb. 1970 war sie mit Lanrue und Reiser von Nieder-Roden nach Berlin aufgebrochen. Sie war bei den "Scherben" hinter den Kulissen Mädchen für alles und auf der Bühne deren Percussionistin.